Der Sprung ins kalte Wasser

Ist tatsächlich wortwörtlich so gemeint! Denn seit Neuestem zähle ich mich zur Randgruppe der Eisschwimmer, naja Winterbader passt wohl besser. Eis habe ich noch nicht aufgehackt, um ins Wasser zu kommen, liegt aber im Bereich des Möglichen 🙂


Zur Erklärung: Wasser ist mein Element! In der Sommersaison schwimme ich mehrmals pro Woche im Bornhorster See, einmal durch den See und zurück. Sobald ich im Wasser bin und ich durch das seidige Wasser gleite, neben mir neugierige Blesshühner paddeln, empfinde ich Glück pur. Wetter spielt für mich keine große Rolle, im Gegenteil: je schietiger das Wetter, um so weniger wummernde Techno-Beats vom Badestrand und noch wichtiger: um so weniger SUPs. Was für eine Plage, diese Dinger! Seitdem es die bei LIDL zum Aufblasen gibt, scheint jeder sein Lebensglück stehend auf einem wackeligen Brett finden zu wollen. Ein Blick in die verkrampften Gesichter und auf die weißen Fingerknöchel, die sich um das Paddel krallen, verrät mir, wie sehr es Spaß machen muss, auf einem Baggersee im Stehen zu paddeln. Da lobe ich mir mein Schwimmen. Nur zu starker Wind hält mich ab, denn Wasser schlucken aufgrund von Wellengang (jaha! den gibt es dort bei Wind!) ist nicht so lustig und hat mich einmal in eine brenzlige Hust-Spotz-Würg-Situation gebracht. Deswegen habe ich bei den letzten Überquerungen einen kleinen Begleiter dabeigehabt- eine orangefarbene Schwimmboje, die wie ein Hund, der kein Bock auf Gassi gehen hat, hinter mir hereiert. Safety first. Bei Wadenkrämpfen beidseits (!) mitten auf dem See freut man sich, wenn man sich an seinem orangenen „Dackel“ festhalten kann.

Schweren Herzen habe ich im Herbst meine Schwimmsachen bei sinkenden Temperaturen bis zur nächsten Saison weggepackt. Die Schwimmbäder sind auf Dauer geschlossen wegen Ansteckungsgefahr, außerdem ist das Inhalieren von Frittenfett, das im hiesigen Hallenbad vom offenen Gastrobereich über die Wasseroberfläche wabert, etwas, was man eher nicht in der Lunge haben möchte. Übrigens auch keine Haarspraywolke!

Die Idee mit einem Neoprenanzug habe ich auch verworfen. Erstens passt mir mein 3mm Schwimmanzug nicht mehr, weil er über die Monate im Schrank geschrumpft sein muss (hüstel). Jedenfalls bekomme ich den Reißverschluss am Rücken nur durch Ausatmen, Luft anhalten und nie wieder Einatmen zu, denn beim Einatmen öffnet sich der Reißverschluss von unten her, hängt aber noch oben im Nacken bombenfest zusammen. So passiert während des Schwimmens, als es irgendwie auf einmal am Rücken sehr kalt wurde, als das Wasser dort langsam hineinlief. Was nicht das Schlimmste war. Denn sich an Land aus einem stramm sitzenden Neoprenanzug herauszupulen, der im Nacken fest verschlossen ist, während der Reißverschluss am Rücken aufklafft – no way! Warum hat man in den wichtigen Live-Events nie jemanden, der ein Foto schießt? Das wäre mal was fürs Familienalbum! Zum Glück habe ich meinen kleinen Einstieg am See, versteckt hinter Büschen, sodass ich dort unbeobachtet wilde Flüche ausstoßen und an meiner dicken Wurstpelle zerren konnte und versuchte, meinen Kopf irgendwie durch die enge Halsöffnung zu quetschen. Wenn der Schädel dicker ist als der Geburtskanal gibt es zwei Möglichkeiten. 1. Hilfe holen – den verwirrten Blick des Gassigehers oder Nordic Walkers wollte ich mir aber ersparen, erst recht die entsprechende Geburtshilfe. 2. Das Gewebe gibt nach. Was es dann auch mit einem empörten Aufschrei tat. Ratz und ich war frei! Halleluja! Kleine Macarena-Tanzeinlage!

Neopren hält zwar warm beim Schwimmen, nur sorgt es auch dafür, dass man wie ein Korken oben auf dem Wasser schwimmt. Schön ist anders. Schön ist, wenn man sich verbunden mit dem Element fühlt, in dem man sich bewegt, eins wird mit der Natur.

Also gab es das berühmte „letzte Mal“. Nach dem Schwimmen gar nicht mehr warm werden wollen, die Hände klamm, die Füße eiskalt und der Blick auf die Wetterprognose prophezeit nur noch kalte Nächte: es ist soweit – Saisonende. Ganz bewusst ein letztes Mal zum Schwimmen fahren, mit Wehmut im Herzen Abschied nehmen bis zum nächsten Jahr. Dieses Jahr kam das Ende besonders früh schon im September, andere Jahre konnte ich noch bis in den Oktober hinein meine Stunde schwimmen.

Doch nun kam ich eher aus der Not heraus auf die Idee trotz Kälte in den See zu gehen. Die Not ist ein kaputtes Knie mit schmerzhaften, schlaflosen Nächten, die ich mit Hilfe einer Kryotherapie einigermaßen in den Griff bekommen habe. Nachdem auch die Eissauna wegen Ansteckungsgefahr geschlossen ist, probierte ich Eisbäder in der Badewanne aus. Kaltes Wasser einlaufen lassen, Beutel Eiswürfel aus der Tiefkühltruhe von EDEKA hinein und reinlegen. Die Faustregel lautet: Pro Grad Wassertemperatur eine Minute im Wasser verweilen. Das Wasser hatte eine Temperatur von 11,5 Grad. Ich gebe zu, dass ich es ohne Neoprensocken nicht ausgehalten hätte. Das tut so weh an den Füßen! Folter! Da bin ich dann doch eine echte Pussi! Die ersten Momente sind hart, aber dann so nach einer bis anderthalb Minuten ist einem verrückterweise gar nicht mehr kalt. Die Haut prickelt, brennt leicht, aber nicht unangenehm, fasst fühlt es sich paradoxerweise so an, als läge man in heißem Wasser! Schräge Erfahrung. Vor allem danach! Der Körper fühlt sich an wie in Leichenstarre, davon darf man sich nicht irritieren lassen 🙂 Die Belohnung ist ein Adrenalinstoß vom Feinsten und ein Endorphincocktail, für den man in der dunklen Ecke am Bahnhof seinen Monatslohn gelassen hätte. Man darf auf keinen Fall hinterher heiß duschen, sondern zieht sich nur warm an und kuschelt sich in eine warme Decke. Der Kopf ist vollkommen klar, man ist auch angenehme Weise hellwach und aufgedreht. Wenn die Wärme zurückkehrt, spürt man auch eine Ermüdung des Körpers, denn anstrengend ist das Ganze schon. Also Füße hoch und einen leckeren Tee trinken! Ich genieße dann auch den Moment der Schmerzfreiheit, außerdem schlafe ich die Nacht danach wie ein Baby.

Doch dieser kleine Gedanke im Hinterkopf nagte an mir: Du hast eine große Natur-Badewanne in erreichbarer Nähe, eigentlich könntest du doch genauso gut dort hineinhüpfen! Da man im Internet ja alles an Informationen bekommen kann, bin ich auch auf die Gemeinde der Eisschwimmer gestoßen. Auf Menschen, die einfach nicht aufhören, in ihrem Lieblingsgewässer schwimmen zu gehen. Für Skandinavier nichts Ungewöhnliches. Besonders hat es mit der Blog vom Chlorhuhn angetan, eine leidenschaftliche Schwimmerin und Radfahrerin wie ich, die detailliert von ihren Erfahrungen im Winter berichtet, einer wunderbarer Blog geschmückt mit inspirierenden Fotos. Sie hat mich motiviert hat, es einfach auszuprobieren.

Am 02.12.2020 16:38 (nachdem die meisten Hundebesitzer auf ihrer Sitzheizung nach Hause gefahren waren) war es soweit: Der Sprung ins kalte Wasser. Außentemperatur: 3 Grad, kein Wind. Wassertemperatur: eiskalt. (Ich habe keine Angst vor Hunden, im Gegenteil, ich freue mich auf die Zeit mit einem Hund, der mit mir schwimmen geht. Aber erst, wenn ich nicht mehr so viel arbeiten muss und Zeit für einen haarigen Vierbeiner habe. Doch auf glotzende Menschen, die ihr Handys zücken und Fotos von der Verrückten machen, hatte ich so gar keine Lust 😉 – obwohl: fürs Familienalbum?) In der Dämmerung zog ein riesiger Schwarm Wildgänse seine Runden über dem See und die Gänse schnatterten sich lauthals die Ereignisse des Tages zu, vielleicht machten sie sich auch über mich lustig, weil ich keine Federn habe und dort so gerupft herumstand, wer weiß. Nicht bedacht hatte ich, wie ich die Zeit einschätzen sollte, die ich im Wasser blieb. Zum Glück hatte ich Bluetooth-Inear-Kopfhörer und mein Handy dabei, Free Woman von Lady Gaga, Dauer 3:11, auf Repeat geschaltet und ab ins Wasser. Wie das Chlorhuhn empfiehlt: Einfach ruhig atmen und zügig ins Wasser gehen, ohne zu zögern, ohne „Huhs“ und „Aahs“. Wie es sich anfühlt, kannte ich ja schon aus meiner Badewanne zu Hause. Doch ohne Neoprenbadekappe, -handschuhe und -socken hätte ich das kalte Bad nicht ausgehalten (Pussi – ich weiß!). Ich blieb in schultertiefem Wasser und schwamm ein paar vorsichtige Züge im „Omastil“ am Schilf entlang, den Kopf wollte ich lieber trocken und warm lassen, unterzutauchen traute ich mich dann doch nicht 🙂 . Und wie im Eiswürfelbad trat auch hier der Effekt ein, dass mir nach kurzer Zeit gar nicht mehr kalt war. Es war einfach nur herrlich! Über mir die Wildgänse, das leise Schlagen der Windräder in der Nähe, ab und an ein Hundebellen vom anderen Seeufer. Ich war einfach nur glücklich und genoss die Freiheit. Nachdem mir Lady Gaga fünfmal ins Ohr gesungen hat, wie glücklich auch sie ist, eine freie Frau zu sein, bin ich wieder an Land gestiegen. Dann wurde es verbesserungswürdig, denn ich bin einfach nicht schnell genug in meine warmen, trockenen Sachen gekommen. Dass mein Körper sich anfühlt wie starre Leiche kannte ich ja schon, den nassen Badeanzug von ihm abzuzerren hat aber ausgereicht, um eiskalte Finger und Füße zu bekommen. Trockenes T-Shirt, Wollpullover, Jacke, Skihose, Wollsocken und gefütterte Boots waren dann nach dem Abtupfen relativ schnell angezogen. Fünfmal Lady Gaga war dann doch einfach zu lang gewesen. Die Radtour nach Hause war grenzwertig, da mir immer kälter wurde. Zu Hause bin ich schnell mit einer heißen Wärmflasche unter die Bettdecke, habe aber dennoch etwa eine Stunde noch vor mich hingeschlottert bis ich wieder normale Betriebstemperatur hatte.

Doch Erfahrung macht klug und gestern bin ich wieder bei Dämmerung im Eisnebel (Hammer!) ins Wasser, dieses Mal nur etwa für zehn Minuten, und kam schneller in die trockenen Sachen als beim ersten Mal. Die Wildgänse waren wieder da, zogen ihre Bahnen im Nebel und landeten mit ohrenbetäubendem Geschnatter neben mir auf dem See. Absolut beeindruckend. Noch schöner wäre es bestimmt bei Tageslicht, aber die Dunkelheit hat ja auch ihren ganz speziellen Reiz. Vor allem sieht man ja fast alles, wenn sich die Augen erst einmal an die Dunkelheit gewöhnt haben. Und in der Nähe der Stadt ist es ja nie vollkommen finster. Auf dem Fahrrad auf der Rücktour kehrte schon die Wärme zurück und zu Hause habe ich mir dann doch eine heiße Dusche gegönnt. Und danach war es wunderbar! Klar und hell im Kopf, stolz und endorphingesättigt, wenn auch mit innerem Kopfschütteln über die eigene Verrücktheit.

Auf jeden Fall habe ich nun ein neues Hobby und werde Ganzjahresschwimmerin bleiben! Und warum schreibe ich dies in meinem Autorenblog? Was wären wir Autoren ohne eigene Grenzerfahrungen? Gemäß dem Motto kill your darlings schubsen wir unsere Protagonisten ständig in grenzwertige Situationen, schubsen sie in kaltes Wasser, stürzen sie über die Klippe, um zu schauen, wie sie wieder nach oben krabbeln. Ich denke, man muss niemals selber jemanden zerstückelt haben, um blutrünstige Thriller schreiben zu können, aber ab und an die eigene Komfortzone verlassen, hat glaube ich noch keinem Autoren geschadet!

Kommentare

  1. Das hast du super geschrieben👍im Moment bin ich leicht erkältet und mach Pause. Da ich auch alleine schwimme und mir mein Freund klar gemacht hat das für dieses Jahr Schluß ist da ich ja sowieso zu lange pausieren musste, sagt meine innere Stimme „nein, du musst wieder rein“. Mal schaun ob ich den inneren Schweinehund besiege🤔wenn nicht ist es auch nicht schlimm, dann zieh ich es nächstes Jahr durch. Hab mir zu Weihnachten schon mal einen Wärmemäntel gewünscht. 😜

  2. Genau so ist es mir dieses Jahr ergangen. Bin seit, glaube Freitags, bei den schwimmern aufgenommen worden. I d opf, bis jetzt 1mal die woche im weiher.
    Der war jetzt leider zu gefroren am Sonntag. Jetzt peile ich Mittwoch an. Ein wunderbares Gefühl.
    Bin sonst immer nur bis ende Oktober rein.

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