Katzenstreu

Vielen, vielen Dank für die zahlreichen Kommentare und Berichte über die vermeintlichen Hauptgewinne im Prinzengewand, die sich – manchmal auch, ohne geküsst zu werden! – als echte Frösche auf der Wolke 7 entpuppten. Wie versprochen kommt hier ein Best-of eurer Erlebnisse – ich habe schriftstellerische Freiheit walten lassen, bin in eure Haut geschlüpft, habe mir ausgemalt, wie es wohl war, und eine kleine Geschichte daraus gebastelt. Viel Spaß! 🙂

Er war ein Tinder-Match. Obwohl ich diese Art der Partnersuche einfach nicht mochte, wischte ich hormongesteuert durch die Bildergalerie und pickte wie einst Aschenputtel die guten Exemplare aus einem Haufen schlechter Linsen heraus und schob sie in mein virtuelles Töpfchen. Dabei war ich sehr kritisch, beinahe zwanghaft suchte ich nach schadhaften Stellen an den angebotenen einsamen Männerherzen.

Zu sehr ließ mich die Erinnerung an mein erstes Blind-Date erschaudern. Damals hatte ich mich durch einen nicht enden wollenden Bar-Abend mit einem selbstverliebten Prahlhans gequält. Die Cocktails wurden immer bunter, seine Selbstdarstellungen schillernder und mit steigendem Alkoholpegel erschien er mir immer attraktiver. Wenn man über sein mit Akne übersätes Gesicht, die unendliche Leere in seinem Blick und den nicht enden wollenden Strom verbalen Brechdurchfalls hinwegsah, schien er ein toller Kerl mit perfekt definierten Muskeln als Erfolg täglichen Workouts zu sein. Ich wollte ihn. Zumindest für eine Nacht, die allerdings abrupt endete, als er bei sich zu Hause sein T-Shirt hochschob, in den Spiegel sah, leise: „Geil, oder?“ flüsterte und seinen Sixpack streichelte.

Doch in Pandemiezeiten wie diesen war es anders kaum möglich, Männer kennenzulernen, als Amors Pfeile von einer App abfeuern zu lassen.

Und sein Profil versprach einen absoluten Hauptgewinn: Er beschrieb sich als tierlieb und naturverbunden, belesen und musikalisch, er mochte anregende Gespräche bei gutem Essen und Wein. Dazu ein passables Äußeres – warum um Himmels Willen war dieses Prachtstück nicht vergeben? Ich beschloss, es langsam angehen zu lassen, um das berühmt-berüchtigte Haar in der Suppe zu finden, und es diskret an den Tellerrand zu legen oder direkt in den Mülleimer zu spucken.

Wir pflegten über einige Wochen eine nette Whatsapp-Kommunikation, lieferten uns einen klugen Schlagabtausch ohne Anzüglichkeiten. Dann waren wir uns beide einig, wir wollten uns treffen, Auge in Auge gegenüberstehen und sehen, ob die Chemie stimmte. Im winterlichen Lockdown im exponentiellen Wachstum an Infizierten kam nur ein Treffen draußen in Frage, doch als er bei Unwetterwarnung eine Einladung zum Essen bei ihm aussprach, sagte ich spontan zu. Ich hatte ein gutes Gefühl, von ihm ging keine Gefahr aus. Er wollte für mich kochen, ich sollte gespannt sein, es würde etwas ganz Besonderes geben. Ich schmolz innerlich dahin, denn drei Dinge standen ganz oben auf meiner Hit-Liste zur Identifizierung potenzieller Lebenspartner: Er sollte kochen können, Gitarre spielen und es sollte zumindest die Möglichkeit bestehen, dass er mir abends bei Kerzenschein und Wein etwas vorlas, vorzugsweise Gedichte. All das versprach er mir und ich schwebte auf Wolke 7.

Donnerstag Abend sollte es so weit sein. Die Friseure hatten wegen Infektionsgefahr geschlossen, aber zum Glück gab es ja den DM-Markt mit seiner breiten Produktpalette. Ich verlieh meinem brünetten Haar einen sanften Café-au-lait-Ton, massierte die teure Bodylotion mit Orangenblütenduft und Öko-Siegel in die Problemzonen und entfernte für alle Fälle die Haare an den Stellen, wo die Sonne nie hin scheint, erst recht nicht im November. Man weiß ja nie, besser ist, man ist vorbereitet. Ein letzter Blick in den Spiegel verriet mir, dass das Geld für das Augenfältchenserum wohl zum Fenster hinausgeworfen war, aber meine Fältchen waren hart erlacht und blieben eben dort, wo sie waren. Dafür fielen die Haare in sanften Wellen auf meine Schultern, der Lidstrich saß beim ersten Versuch, auch der am Kinn sprießende Pickel hatte sich eines Besseren besonnen, und sich in seinen Schmollwinkel zurückgezogen. Mehr war nicht herauszuholen, aber mein neuer Bekannter war ja kein Mensch, der auf Oberflächlichkeiten abfuhr, wie er mehrmals betont hatte. Er suchte eine naturverbundene Frau, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand, und die kein leichtes Windchen sofort umwehte. Ausgeglichen sollte sie sein und harmoniebedürftig. Zickigkeit und Mädchenallüren konnte er nicht leiden, davon hatte er schon zu viel in seinem Leben ertragen. Mit seiner Traumpartnerin wollte er die Welt erkunden und das Leben in vollen Zügen genießen. Und das war alles ich: Mit mir konnte man durch den Matsch rennen und in Pfützen springen, Wettrennen und Kirschkernweitspucken veranstalten, aber auch romantische Abende bei Kerzenschein und gutem Wein und tiefgründigen Gesprächen verbringen.

Er fragte mich vorab nach meinen kulinarischen Vorlieben und ich gestand ihm, dass mich seit frühester Jugend eine Zöliakie plagte. Weizenmehl brachte meine Innereien dazu, sich nach außen zu stülpen und laut schreiend um Hilfe zu rufen. Kein Mehl, kein Soßenbinder, keine Fertiggewürzmischungen á la Knorr und Maggi.

Die Antwort kam zögerlich. Doch es war kein Problem für ihn, schließlich hätte ich mir die Krankheit nicht ausgesucht. Ob ich denn für ein Baguette sorgen könnte? Zum Dippen in bestes Olivenöl und grobes Mehlsalz? Oh ja, das liebte ich! Ein Stückchen krosses Brot in Öl und Salz getunkt, welch köstliches Vorspiel vor den folgenden Köstlichkeiten aus der Küche! Selbstverständlich würde ich aus der Spezialbäckerei ein glutenfreies Baguette mitbringen, warum auch nicht. Er hatte gegoogelt: Die Bäckerei lag nur ein paar hundert Meter vom Weinhändler entfernt. Ob es mir möglich wäre, den bestellten Wein, der perfekt auf das Menü abgestimmt sei, abzuholen und mitzubringen? Äh… ja. Den sollte ich noch in meiner Tasche unterbringen können.

Als ich Lippenstift auftrug, brummte das Handy und kündigte eine weitere Nachricht an. Er freute sich so sehr auf mich! War sehr aufgeregt! Leider so aufgeregt, dass er vergessen hatte, das Fleisch aus dem Tiefkühler zu nehmen. Ob ich so freundlich sein könnte, bei dem Ökoschlachter, der ja gar nicht so weit weg vom Weinhändler wäre, quasi auf dem Weg!, ein paar Steaks abzuholen? Ich legte meine Umhängetasche beiseite und schnappte mir meinen geräumigen Wanderrucksack, eine Entscheidung, die sich noch als goldrichtig erweisen sollte. Denn als ich gerade auf der Straße war, trudelte die nächste Nachricht ein. Es war ihm sehr unangenehm, wirklich sehr unangenehm. Ein weiteres Missgeschick! Er konnte es sich nicht anders erklären, als dass die große Freude auf den bevorstehenden Abend ihn dazu verleitet hatte, mit den Gedanken einfach nicht bei der Sache zu sein. Das Ofengemüse für die Antipasti als Vorspeise wäre angebrannt, vollkommen ungenießbar und direkt im Müll gelandet. Seufzend tippte ich: Kein Problem, mach dir keinen Kopf, Steak, Ofenkartoffel und Salat ist doch vollkommen ausreichend. Baguette dazu, alles fein. Nun, das mit den Ofenkartoffeln hätte ich wohl falsch verstanden, schrieb er, er hätte einen Kartoffelsalat anzubieten. Nach Omas Art! Mit Speck und Röstzwiebeln. Den mochte ich zum Glück. Schließlich wünschte er sich ja eine rustikale Partnerin fürs Leben, da durfte es ruhig auch Kartoffelsalat beim ersten Date geben.

Ich besorgte das Brot, verstaute das in rosa Papier eingeschlagene Fleisch und betrat kurz vor Toresschluss die Weinhandlung, in der eine Kiste Wein zur Abholung bereitstand. Ich erklärte, dass ich nur zwei Flaschen mitnehmen könne, da ich mit dem Fahrrad unterwegs sei. Die buschigen Augenbrauen des Weinhändlers schoben sich zu einer Monobraue zusammen. Bezahlt werden müsste aber die gesamte Bestellung! Mein Erwählter hatte zur Feier des Tages einen wahrhaft guten Tropfen ausgesucht. Zum Glück war mein Konto noch belastbar, obwohl das gut abgehangene Fleisch meiner Kreditkarte schon ein kleines Ächzen entlockt hatte. Als ich dann die beiden Flaschen in meinem Rucksack verstaute, spürte ich das Vibrieren meines Handys in der Innentasche meines Wollmantels. Hatte dieses Geräusch doch zuvor Herz und Geist in der Erwartung einer netten Konversation zum Funkeln gebracht, traute ich mich nun kaum mehr, die Nachricht meines Tinder-Dates zu lesen. Nun gab es ein Problem mit dem Dessert. Eine von seinen Katzen hätte es geschafft, auf die Arbeitsplatte zu springen, und sei über die Nachspeise hergefallen. Er sei untröstlich! Diese Unachtsamkeit! Nun hätte er kein Dessert, er würde es aber mit anderen Leckereien wieder wettmachen. Versprochen! Auf meine knappe Nachfrage, ob er handelsübliche Löffelbiskuits für das Tiramisu verwendet hatte, reagiert er nach wenigen Minuten mir einem Äffchen, das sich die Augen zuhielt. Am liebsten hätte ich eine Rückhand mit einem grimmig dreinblickenden Emoji gespielt, daneben einen Eispickel, der auf seinen Kopf zielt. Aber ich atmete tief durch und tippte: Siehst du, halb so wild, ich hätte es eh nicht essen dürfen, ist ja auch nicht so einfach mit uns Zöliakie-Betroffenen. Den letzten Halbsatz löschte ich, schließlich wollte ich ja als geländetauglich und robust rüberkommen. Die Antwort folgte prompt, er schickte ein zerknirscht dreinblickendes Männchen, gefolgt von Herzen in allen Regenbogenfarben.

Kaum saß ich gebeugt vom schweren Rucksack im Sattel, als ich erneut ein Vibrieren wahrnahm. Ich stieg mit schlimmsten Befürchtungen vom Rad ab und schaute aufs Handy. Apropos Katze, schrieb er. Auf dem Weg zu ihm käme ich doch bei Fressnapf vorbei, er hätte gerade im Prospekt gesehen, die hätten Katzenstreu um Angebot, ob ich vielleicht so nett wäre? Auf dem Gepäckträger? Der würde sicher locker den 5-kg-Sack aushalten, ein Mitarbeiter sei mir auch ganz sicher behilflich, die wären dort sehr nett und zuvorkommend. Und meine Nase würde es mir danken, denn die kleinen Racker hätten ihr Klo ungebührlich ausgiebig benutzt und nun würde die Kapazität der saugfähigen Streukügelchen erschöpft sein, ein Austausch sei unausweichlich. Als Dank würde ich einen unvergesslichen Abend bei ihm erleben. Nun ja. Den hatte ich jetzt bereits. Statt das Handy abzuschalten, ohne Umwege wieder nach Hause zu fahren, mich in die Sofakissen zu werfen, mit den Zähnen den Korken aus der Weinflasche zu ziehen, das Baguette in mich reinzustopfen und die aktuelle Staffel meiner Lieblingsserie zu schauen, eierte ich mit dem Sack Katzenstreu auf meinem unter der Last quietschenden Rad durch das Altstadtviertel.

Die Lage seiner Wohnung besänftigte mich. Ich stellte mein Fahrrad an einem der alten Eichenbäume ab, ging an Luxuskarossen mit am Heck aufgeklebten Sylt-Silhouetten vorbei auf die Jugendstil-Villa zu. Goldene Klingelknöpfe, in geschwungenen Lettern auf goldene Platten gravierte Namen. Ganz oben seiner. Vierter Stock.

Wie schön! Ich sei schon da, tönte es aus der Sprechanlage. Leider könne er mir nicht entgegenkommen, die Katzen könnten entwischen. Er lachte. Ich lachte nicht. Stand im Treppenhaus und starrte auf die steile Holztreppe vor mir. Pferde stehlen, Äpfel klauen, in Pfützen springen. Und Gipfel erklimmen. Seufzend richtete ich den Rucksack, hievte den Sack Katzenstreu wie ein dreijähriges Kind auf meine Hüfte und machte mich an den Aufstieg. Im zweiten Stock rutschte mein perfekter Lidstrich, im dritten sank meine schön gebauschte Frisur zum schweißverklebten Wischmopp zusammen und im Vierten erwartete mich ein mit perfekt geputzten Männerschuhen vollgestelltes Holzregal. Ich fuhr mir mit dem Finger unter dem Unterlid entlang, um etwaige Schmierflecken zu entfernen, und klopfte an die Tür. War ich falsch? Ein Namensschild war für die ehemalige Dienstbotenwohnung wohl nicht vorgesehen. Dann hörte ich Schritte, mein Herz hätte schneller geschlagen, wenn es nicht von dem Aufstieg mit Weinflaschen und Katzenstreu als Ballast schon außerhalb des aeroben Trainingsbereichs schlug. Die Tür ging auf und ich schloss reflexartig aus Angst vor einer Enttäuschung die Augen. Auf seinem Profilbild hatte er dunkle Locken, volle Lippen mit einem warmherzigen Lächeln, seine blauen Augen leuchteten aus einem Gesicht mit leichter Segelbräune, das geöffnete Hemd ließ einen trainierten Körper vermuten. Ich blinzelte vorsichtig, als er mich begrüßte. Seine Stimme war angenehm, dunkel, männlich. Und passte zu seinem Äußeren, mit großer Erleichterung erkannte ihn sofort von seinem Profilbild. Er musste aufpassen, dass seine Katzen nicht die Chance zur Flucht ergriffen, haha, nicht, dass sie es nötig hätten, zu fliehen! Er lachte. Ich schleppte.

Im Wohnzimmer empfingen mich Kerzenschein und aus allen dunklen Ecken misstrauisch dreinblickende fluoreszierende Katzenaugen. Hier und da unterbrach ein leises Fauchen die dezente Klaviermusik, die im Hintergrund spielte. Er bat mich um das Fleisch, öffnete mit geübten Griffen den Wein, schenkte mir gekonnt ein. Ich sollte mich doch einfach setzen und entspannen, derweil würde er sich um die Steaks und das Katzenklo kümmern. Ich beäugte den Tisch, mochte mich kaum rühren vor Angst, dass mich eine der lauernden Furien angreifen könnte. Er hatte recht mit dem Salat nach Omas Art, die Bezeichnung war unschwer von dem Etikett auf dem 1-kg-Plastikbecher auf dem Tisch abzulesen. Das Olivenöl, das in der Flasche auf dem Tisch stand, kannte ich vom Aldi. Es war nicht schlecht, ich benutzte es oft zum Kochen.

In die Katzen kam Bewegung, sie schienen mich nicht als Gefahr wahrzunehmen und schlichen alle näher heran. Doch nicht ich war das Ziel ihrer Neugierde, sondern die Schüssel Tiramisu unter dem Esstisch, über die sie sich schnurrend und schmatzend hermachten. Ich griff nach dem gefüllten Weinglas und kippte es in einem Zug herunter. Dann schlich ich so leise, wie ich konnte, auf Zehenspitzen durch den Flur, an der Gitarre, die in der Ecke lehnte vorbei. Ich bemühte mich, nur durch den Mund zu atmen, um dem beißenden Katzenklogestank zu entgehen, öffnete vorsichtig die Wohnungstür, die bei meinem Fluchtplan allerdings nicht mitspielen wollte und empört knarzte. Ich presste Augen und Mund fest zusammen, hoffte, nicht entdeckt zu werden. Tausend Ideen, warum ich plötzlich gehen musste, schossen mir durch den Kopf, keine machte Sinn. Wie nett von dir! Er hatte wirklich eine angenehme Stimme, von ihm hätte ich mir gerne sogar die Leitartikel der Zeitung vorlesen lassen. Aber das wäre doch nicht nötig gewesen, wahrhaftig nicht! Aber so hätte er Zeit für die Steaks. Mit seinem schönen Lächeln auf den vollen Lippen drückte er mir die Mülltüte mit dem verklumpten Katzenstreu in die Hand und schloss hinter mir die Haustür. Ich wisse schon. Die Katzen könnten abhauen.

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